Kindermachergang 1994-1997 Lutz Mohnhaupt |
Die Straße im Spiegel der Geschichte
Eine Arbeiterstraße entsteht
Um 1902 verkaufte die Kirche einen Teil
des Flurstücks „Hinter dem Kegelhof“, Ackerland, das
sich hinter dem Ludolfschen Hof erstreckte, der in etwa an der
heutigen Kreuzung Lokstedter Weg / Eppendorfer Landstraße
belegen war. Die Tarpenbekstraße, nur teilweise bebaut, endete
damals am Nedderfeld.
1906 zogen die ersten Familien in die
neu erbauten Häuser, um die Wohnungen „trockenzuwohnen“.
Zu dieser Zeit lebten auf diese Art zahlreiche einkommensschwache
Arbeiterfamilien ein Jahr lang in den noch feuchten Neubauten
kostenlos oder bei geringer Miete um dann in das nächste
neuerstellte Haus weiter zu ziehen.
Wohnungsnot Seit dem deutsch-französichem Krieg herrschte in Hamburg eine ständige Knappheit vor allem an preiswertem Wohnraum. Insbesondere vor der "Eingemeindung" der umliegender Dörfer in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, zu denen auch Eppendorf zählte, waren die Arbeiter auf Wohnraum innerhalb der Stadtgrenzen Hamburgs angewiesen, da zu den Vororten keine angemessene verkehrliche Infrastruktur existierte. Die tägliche Arbeitszeit, die oft zehn Stunden und mehr betrug, gestattete keine weiten Arbeitswege. In manchen Berufen, wie beispielswise in den kaufmännischen, kannte man keine durchgehende Arbeitszeit, hier waren zweistündige Mittagspausen üblich. Gerade die große Zahl der "Kommis", der niederen kaufmännischen Angestellten, verdiente kaum mehr als ein Arbeiter und hätte sich slebst bei Bestehen ausreichender Vorortsverbindungen ebensowenig wie dieser täglich zwei "Billets" leisten können, verbilligte Zeitkarten gab es noch nicht.
So nahm die Einwohnerzahl in der Alt- und Neustadt ab. Die vertriebenen Einwohner mußten in die neuen Stadtteile, wie beispielsweise Barmbek, Winterhude und Eppendorf ziehen. Hier explodierten die Einwohnerzahlen geradezu. Gleichwohl wurden die neuen Einwohner mit höheren Mieten und einem erheblich längerem und vor allem teureren Arbeitsweg konfrontiert. Trotz des Baubooms, der mit Beginn des ersten Weltkriegs zum Erliegen kam, bestand die Wohnungsnot weiter fort, da die fortschreitende Industrialisierung immer mehr Arbeitsplätze schuf, ohne daß der Mietshausbau die wachsende Bevölkerung aufnehmen konnte. Nach wie vor fehlten vor allem billige Wohnungen, die breite Masse der Familien konnte die Mieten nur aufbringen, indem sie ein Zimmer an "Einlogierer" vermietete.
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Vergleich
der Gegend um die Kegelhofstraße um 1873 und 1990. (Plan Stadtteilarchiv Eppd.)
Am
unteren rechten Bildrand (1) der Eppendorfer Marktplatz. Der Hof des
Pastor Ludolf (eingekreist) lag
nördlich des Lokstedter Wegs
(2) in Höhe der Erikastraße.Die Geschwister-Scholl-Str.,
damals noch
Albertstraße (3) ist im Bau. Deutlich zu sehen
ist die Windmühle in Höhe der heutigen Schedestraße (4).
In den ersten Jahren hatten die BewohnerInnen der Häuser mit geraden Hausnummen aus den hinteren Fenstern noch einen ungehinderten Blick nach Norden über Äcker bis zum Lokstedter Weg – die Straßen Im Tale, Wendloher und Winzeldorfer Weg existierten noch nicht. In der Kegelhofstraße hielt die rege Bautätigkeit an, die letzten Stuckhäuser Nr.21/23 wurden est 1911 bezugsfertig.
Bis Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts wies die Straße noch zahlreiche Baulücken auf: Die heutigen Häuser Nr. 33-45a, 53 bis 61 und Nr. 28-36 sowie 48-52 wurden erst später gebaut.
Die Kegelhofstraße war, wie viele andere Straßen privatseits angelegt. Keiner der Bauherren war bereit, darin zu investieren (man wohnte ja nicht hier), so dass sie sich noch bis 1910 als einfacher Sandweg ohne Gehwege darbot. Später ließ die Stadt das heute noch sichtbare Pflaster, Gehwegplatten und die üblichen Bordsteine aus Granit verlegen.
1905/1906
begannen Aufteilung und Verkauf einzelner Grundstücke. Auf dem
historischen
Bebauungsplan sind die Baulininien erkennbar,
zwischen denen die Häuser errichtet
werden mussten. Am
linken Bildrand die Landesgrenze. (Stadtteilarchiv Eppd.)
1906: Die Kegelhofstraße als Sandweg und das „Loch an der Frickestraße“
Die Kegelhofstraße, durch die Eigentümer möglichst kostengünstig angelegt und mehr oder weniger gut unterhalten, bestand in den ersten Jahren lediglich aus einem sandigen Fahrweg, der ohne Gehwege bis an die Vorgärten bzw. Hausfassaden reichte.
Zur Unterhaltung des Kreuzungsbereichs war zwar die Stadt verpflichtet, diese weigerte sich jedoch, aufzupflastern, um nicht einen Teil der Lokstedter Abwasser in das Hamburger Sielnetz aufnehmen zu müssen. Der Ausschuß der Bürgervereine schätzt „Eine Beseitigung der Kalamität werde erst eintreten, wenn die Gemeinde Lokstedt das Projekt einer allgemeinen Kanalisation der Ortschaft, die in Aussicht steht, verwirklicht“. (aus "Hamburgischer Korrespondent", 7. 3. 06) Im Januar 1907 berichtet das "Hamburger Fremdenblatt": "Die Straße ist jetzt an der fraglichen Stelle geglättet und so ein erträgliches Provisorium geschaffen."
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Die
Kegelhofstraße vor dem ersten Weltkrieg aus Sicht des heutigen
Thälmann-Platzes
über die Tarpenbekstraße hinweg. (Alte Ansichtkarte, Stadtteilarchiv Eppd.)
Gasdruck zu schwach
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1909-12: Schlittschuhlaufen gegen Obulus
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Die Straße im Nationalsozialismus
Die Nazionalsozialisten konnten in der
Kegelhofstraße nie richtig Fuß fassen: Die Wahlen von
1928 brachten ihnen 1,5%, im November 1932 betrug ihr Stimmenanteil
15,0%. Am gleichen Wahltag entschieden sich 38,1% für die SPD
und 35,3% für die KPD, die bürgerlichen Parteien mußten
sich mit rund 7% der WählerInnen begnügen.
Selbst die Verteilung von Flugblättern
war den Nazis kaum möglich. 1931 bat der
"NSDAP-Sektionsleiter für politische Propaganda"
um verstärkten SA-Schutz für die Verteilung: „Ohne
einen solchen kann die Sektion in der Niendorferstraße (heutige
Geschw.-Scholl-Str.), Kegelhof- und Frickestraße eine
Verteilung nicht vornehmen. In diesen Straßen wohnt das
kommunistische Gesindel, das sofort in größeren Rudeln zur
Stelle ist, wenn wir uns sehen lassen. ... Einen Verteiltruppe von 10
bis 12 Mann stehen dann in wenigen Minuten 50-100 Kommunisten
gegenüber. Es kann hier nur mit größerem SA-Schutz
gearbeitet werden.“
Der Widerstand gegen die
Nazionalsozialisten endete auch nach deren Machtübernahme nicht.
Die „rote“ Kegelhofstraße war, ebenso wie die
benachbarten Straßen, ein Zentrum des Widerstandes, von
Kommunisten und Sozialdemokraten organisiert.
Bereits im Zusammenhang mit dem sog. „Altonaer Blutsonntag“ wurde der in der Kegelhofstr. 13 wohnende Arbeiter Walter Ferdinand Möller verhaftet und nach einem der ersten großen Nazi-Schauprozesse am 1.August 1933 hingerichtet. Die nach dem Krieg am Haus angebrachte Gedenktafel ließ der neue Eigentümer trotz Protest der Anwohner 1978 entfernen – im Profitdenken hat Geschichte offensichtlich keinen Platz.
Durch einen Zufall – das
„Pfadfinder“-Flugzeug, das den Bomern den Weg wies, kam
wegen eines Gewitters vom Zielpunkt ab – blieb Eppendorf und mit
ihm die Kegelhofstraße weitgehend erhalten.
Lediglich die Gebäude Ecke Frickestraße / Kegelhofstraße
wurden vollkommen zerstört.
In den Fünfzigern
(Foto privat)
Kindermachergang – 1950
Da in der Kegelhofstraße nach dem
Krieg viele ausgebombte Familien untergekommen waren, lebten hier
Anfang der fünfziger Jahre über 1000 Kinder. Auch in den
umliegenden Straßen wohnten überdurchschnittlich viele
kinderreiche Familien.
So wurde im August 1954 am Lokstedterweg ein Kinderspielplatz eingeweiht, zu dem der Deutsch-Amerikanische Frauenclub den Anstoß gegeben hatte. Der Club hatte der Stadt unter der Voraussetzung Geld zur Verfügung gestellt, daß diese ein Grundstück zur Verfügung stelle und sich der Platz in unmittelbarer Nähe kinderreicher Straßen befände. Auf dem 5695m² großen Kinderspielplatz, der heute noch am Lokstedter Weg 92 liegt, wurde gleichzeitig ein Tagesheim errichtet, in dem die Kinder unter anderem ihre Schularbeien erledigen konnten.
Heute